„Wedding ist kein Teil von Deutschland“
Am 15. Juli 2021 trafen wir Marius an einem regnerischen Tag im Berliner Stadtteil Wedding. Marius, 26 Jahre alt, mit kurz geschnittenen Haaren, wählte bei der Europawahl die AfD, obwohl er die Partei für unseriös hält. „Oh Gott, auf keinen Fall“ sagt er, wenn es um die Möglichkeit geht, Tino Chrupalla oder Alice Weidel als Kanzler zu sehen. Marius wollte anonym bleiben, um keine negativen Konsequenzen zu erleiden – eine Angst, die viele junge AfD-Wähler teilen.
Der Aufstieg der AfD bei jungen Menschen ist bemerkenswert. Eine Umfrage vom April zeigte, dass fast ein Viertel der 16- bis 29-Jährigen die rechtspopulistische Partei wählen würden. Bei der Europawahl setzte sich dieser Trend fort, sodass die AfD zur zweitstärksten Kraft unter jungen Wählern wurde, knapp hinter der CDU. Überraschend absackten die Grünen um mehr als acht Prozent.
Die Ungewissheit der jungen AfD-Wähler
Marius spricht oft in Widersprüchen. Einerseits ist ihm die Freiheit wichtig, andererseits bewundert er den autoritären Führungsstil von Präsident Bukele in El Salvador, der für seine strikten Sicherheitsmaßnahmen bekannt ist. „Bukele hat das Land wieder sicher gemacht“, sagt Marius und bezieht sich dabei auf die hohen Inhaftierungsraten. Er arbeitet freiberuflich im Online-Marketing und fühlt sich durch die Berichterstattung oft missverstanden. „Wer gegenteilige Meinungen vertritt, wird schnell in eine Schublade gesteckt“, meint er.
Was heißt „deutsch“ sein?
Die Frage nach der Identität und Nationalität kann Marius nicht klar beantworten. „Ich fühle das einfach nicht mehr“, sagt er und verweist auf die Veränderungen im Land durch die Einwanderung. Für ihn spiegelt sich diese Veränderung im Alltag wider, wenn er etwa in einem Café auf Englisch bestellen muss. Er wünscht sich mehr „Ordnung und Sicherheit“ und zeigt dabei Verständnis für Themen wie Remigration – die Rückführung von Migranten ohne Aufenthaltsstatus oder Straftätern.
Ein Spaziergang durch Wedding
Beim Flanieren durch den Volkspark Humboldthain merkt Marius an, wie er Berlin nicht mehr als sein Zuhause empfindet. Der Müll auf den Straßen verstärkt sein Gefühl der Unordnung. Besonders in Stadtteilen wie Wedding und Neukölln fühlt er sich entfremdet. „Ich habe Freunde verloren wegen meiner politischen Einstellung“, sagt er.
Der politische Diskurs
Die AfD setzt laut Marius Themen, die ihm fehlen: unkontrollierte Migration und innere Sicherheit. Trotz der populistischen und extremen Kommunikation der Partei, fand er keinen anderen Weg, seinen Sorgen Ausdruck zu verleihen. Die Pandemie verstärkte seine politischen Neigungen, da er sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen fühlte. „Meine Grundrechte wurden eingeschränkt, und die FDP hat sich nicht davon distanziert“, erklärt er seine Abkehr von den Freien Demokraten.
Der politische Ausblick
Doch was könnte die Politik anders machen, um solche Entwicklungen zu verhindern? Klare und transparente Kommunikation sowie echte Partizipationsmöglichkeiten für Bürger könnten Vertrauen schaffen. Die Regierung sollte Programme zur politischen Bildung und Integration stärken. Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität in benachteiligten Stadtteilen könnten auch dazu beitragen, Ängste und Unsicherheiten zu mindern.
Politische Entscheidungen müssen nachvollziehbar und offen diskutiert werden. Besonders Themen wie Migration und Sicherheit sollten mit einer klaren, aber menschlichen Perspektive behandelt werden, um Spannungen und Vorurteile abzubauen. Nur so kann man vermeiden, dass junge Menschen aus Frustration zu extremen Parteien greifen.
Wir brauchen ein politisches Klima, das inklusiv ist und alle Bürger mitnimmt, ohne sie in Schubladen zu stecken. Dies erfordert die Zusammenarbeit von allen politischen Akteuren und der Gesellschaft insgesamt.
- NAG