Lebensgeschichten im Roten Haus: Türkische Frauen auf der Bühne
Erleben Sie die Inszenierung "Das rote Haus" am Gorki-Theater in Berlin, die die Geschichten türkischer Arbeiterinnen thematisiert.

Lebensgeschichten im Roten Haus: Türkische Frauen auf der Bühne
Am 3. Oktober 2025 feiert das Berliner Maxim-Gorki-Theater die Premiere der Inszenierung „Das rote Haus“ unter der Regie von Ersan Mondtag. Diese Aufführung beleuchtet die Lebensgeschichten türkischer Arbeiterinnen, die zwischen den 1960er und 1970er Jahren in Deutschland lebten. Auf der Bühne treten vier alte Damen auf, die die Zuschauer mit der Frage „Sind Sie meine Enkelin?“ konfrontieren. Sie erzählen von ihren Erinnerungen an die Zeit im ehemaligen Frauenwohnheim, das als „rotes Haus“ bekannt ist und als ein Raum für die Gastarbeiterinnen diente, die in der Bundesrepublik arbeiteten. RBB24 berichtet, dass die Inszenierung den diesjährigen Herbstsalon am Gorki-Theater eröffnet.
Das „rote Haus“ befand sich in der Stresemannstraße, einem historischen Gebäude, das von 1963 bis 1967 als Unterkunft für junge Frauen mit kurzfristigen Arbeitsverträgen diente. Diese Frauen lebten in Mehrbettzimmern und teilten sich Küche sowie Bad, während sie versuchten, sich in Deutschland zurechtzufinden. Unter ihnen war auch die Autorin Emine Sevgi Özdamar, die während dieser Zeit für die Firma Telefunken arbeitete. Sie schildert, wie sie acht Stunden täglich am Fließband für 2,28 Mark die Stunde arbeitete und um 4 Uhr morgens aufstehen musste. Ihre Erfahrungen im Wohnheim verarbeitete sie später in ihrem Roman „Die Brücke vom Goldenen Horn“.
Ein Blick auf die Inszenierung
Während der Aufführung kommen die Biografien der Frauen in einer Grusel-Ästhetik zur Geltung. Regisseur Mondtag, der selbst Sohn türkischer Einwanderer ist, hat Gespräche mit ehemaligen Bewohnerinnen des „Roten Hauses“ geführt, um eine authentische Perspektive zu gewährleisten. Dennoch wird die Inszenierung sowohl für ihre fehlende emotionale Tiefe als auch für die mangelnde Differenzierung der Charaktere kritisiert. Kurzbiografien der Frauen werden in schneller Abfolge präsentiert, was dazu führt, dass sie kaum auseinandergehalten werden können. Kritiker bemängeln, dass die Geschichten der Akteurinnen zu wenig Raum für persönliche Identifikation bieten, was die Wirkung der Inszenierung mindert.
Ein anatolischer Frauenchor trägt während der Aufführung türkische Liebeslieder vor, was einen kulturellen Kontrast zur düsteren Stimmung der Erzählungen bildet. In Verbindung mit historischen Verweisen, etwa auf Otto von Bismarck, wird versucht, einen breiteren Kontext zu schaffen. Parallel zur Theateraufführung findet im Palais am Festungsgraben eine Ausstellung statt, die differenziertere und persönlichere Perspektiven auf die Geschichte der Frauen im „Roten Haus“ präsentiert. Diese Ausstellung zielt darauf ab, die vielen Facetten und individuellen Geschichten der Frauen, die in Deutschland leben und arbeiten mussten, zu würdigen.
Geschichte der türkischen Arbeitsmigration
Die Geschichte der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland ist eng mit den Anwerbeabkommen der Bundesrepublik zur Unterstützung des wirtschaftlichen Aufschwungs verknüpft. Ab 1961 wurden nach einem bereits etablierten Modell mit Italien und Spanien auch Arbeitskräfte aus der Türkei in das Land geholt. Die Arbeitsmigrantinnen fanden sich häufig in Berufen wieder, die von Männern als weniger attraktiv erachtet wurden, wie in der Reinigung oder am Fließband. Zwischen 1961 und 1973 beantragten deutsche Unternehmen 867.000 Arbeitskräfte aus der Türkei, wobei der weibliche Anteil ab Mitte der 60er Jahre bei etwa 20% lag. National Geographic dokumentiert, dass viele dieser Frauen mit dem Begriff „Gastarbeiter“ gleichgesetzt wurden, was eine problematische Wahrnehmung hervorrief.
Die Lebensrealität der Migrantinnen war geprägt von harter Arbeit und reglementierten Lebensbedingungen, häufig in Sammelunterkünften. Für viele bedeutete die Ankunft in Deutschland auch eine Trennung von ihren Familien, eine Erfahrung, die oft schmerzhaft war. Trotz der Herausforderungen haben viele von ihnen einen dauerhaften Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgebaut, was sich bis in die heutige Gesellschaft widerspiegelt, in der 2,9 Millionen Bürger*innen mit türkischer Migrationsgeschichte leben. Diese Entwicklungen sind geprägt von einem stetigen Kampf um Teilhabe und Anerkennung in der neuen Heimat.
Die Inszenierung „Das rote Haus“ am Maxim-Gorki-Theater gibt einen wichtigen Einblick in diese komplexen Geschichten und erfordert eine Auseinandersetzung mit der kulturellen und historischen Identität der türkischen Arbeiterinnen in Deutschland.