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Mutmaßlicher Löwe in Berlin entpuppt sich als Schwein: Warum falsche Erinnerungen uns täuschen

Polizisten und Anwohner in Berlin waren sich sicher: Sie haben einen Löwen gesichtet. Der entpuppte sich als Schwein. Wie kann das sein?

Die Suche nach einem mutmaßlichen Löwen in Berlin hielt die Hauptstadt über zwei Tage hinweg in Atem. Hundert Polizisten waren teilweise mit Schutzschilden und Maschinenpistolen im Einsatz, ebenso ein Veterinärmediziner und der Berliner Stadtjäger. Anwohner wie Polizisten hatten Sichtungen des Tieres gemeldet. Nun stellte sich heraus: Den Löwen gab es offenbar nicht. Tatsächlich trieb wohl nur ein Wildschwein sein Unwesen am Stadtrand. Den Zeugen spielte womöglich die Psyche einen Streich.

Die Psyche spielt uns öfter Streiche. Etwa, wenn es um Erinnerungen an Ereignisse geht, die niemals stattgefunden haben – man nennt es auch den „Mandela-Effekt“. Demnach können sich auch Menschenmassen falsch an ein Ereignis erinnern. Viele Menschen dachten etwa, dass Nelson Mandela in Gefangenschaft gestorben war – tatsächlich wurde er aber 1990 gesund aus der Haft entlassen und erst Jahrzehnte später verstorben.

In wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Phänomen konnten Tester die Probanden erfolgreich von falschen Erinnerungen überzeugen. Die Psychologin Elizabeth Loftus etwa suggerierte den Teilnehmenden auf dem Gelände eines Walt-Disney-Parks den Hasen Bugs Bunny getroffen zu haben. Im Anschluss konnten sich die Probanden lebhaft an das Treffen erinnern, das es allerdings niemals gab. Denn Bugs Bunny gehört zum Universum der Warner Brothers – einem Konkurrenten von Walt Disney.

Angesichts der selbst als glaubhaft wahrgenommenen, aber tatsächlich falschen Erinnerungen kommt dem Mandela-Effekt auch in Gerichtsprozessen eine große Bedeutung zu. Bekanntheit erlangte etwa der Fall Västerås in Schweden, bei dem eine Frau nach einer Psychotherapie ihren Vater der mehr als 200-maligen Vergewaltigung beschuldigte, was sich später als falsche Erinnerung herausstellte. Wirklich erklärt ist das auch als Konfabulation bezeichnete Phänomen bislang nicht, wird aber wohl von bestimmten Hirnaktivitäten ausgelöst. Auch eigene Kindheitserinnerungen lassen sich so verfälschen, etwa von einer Heißluftballonfahrt, die es nicht gab. „Manche waren tatsächlich auch leicht schockiert, weil ihnen natürlich klar wurde, dass es relativ leicht ist, ihnen Erinnerungen zu suggerieren“, sagte die Medienpsychologie Aileen Oeberst in einem Interview mit Deutschlandfunk über eine Studie zum Thema.

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Das kollektive Bewusstsein spielt dabei auch eine Rolle. Denn der Mandela-Effekt ist umso stärker, je mehr Menschen von den falschen Erinnerungen überzeugt sind. Die intensive Berichterstattung über die Suche nach einem Löwen in Berlin könnte ihren Teil dazu beigetragen haben, das Thema in die Köpfe der Menschen zu verfestigen.

Ähnliche Beispiele aus der Vergangenheit sind etwa die Sichtung von Bigfoot in den USA oder dem Ungeheuer von Loch-Ness in Schottland – die Legenden sind viel zitiert und weltbekannt und beide Fabelwesen werden immer wieder gesichtet. In Berlin hatte wohl auch vermeintliches Löwengebrüll die Fantasie weiter beflügelt. Nach Angaben der Polizei hatte sich der Lärm als Scherz von Jugendlichen mit einem Lautsprecher herausgestellt. „Das hilft weder der Gemeinde noch der Polizei“, so der lakonische Kommentar eines Polizeisprechers dazu.

Videoschnipsel, die am Donnerstag die Runde in sozialen Netzwerken machten, sollten das Tier zeigen. Das Video sei echt, hieß es von Ermittlungsbehörden. Berlins Wildtierexperte Derk Ehlert erkannte darauf allerdings nur zwei Wildschweine, die von links nach rechts laufen, wie er RBB-Radio sagte. „Ich glaube aber natürlich den Zeugen, den Kollegen von der Polizei in Berlin, die ein derartiges Tier auch real gesehen haben“, ergänzte Ehlert. Denn auch Polizisten hatten nach Angaben einer Behördensprecherin angegeben, die Raubkatze „gesichert“ zu haben. Weitere mögliche Sichtungen gab es am Donnerstagnachmittag und Abend auf Berliner Stadtgebiet, nahe der südlichen Grenze zu Brandenburg. Konkrete Spuren für einen Löwen - etwa Blut, Kot oder Pfotenabdrücke - fehlten allerdings. Das macht ihn stutzig, so Ehlert weiter. Veterinärmediziner Achim Gruber von der Freien Universität Berlin meldete ebenfalls Zweifel an, ob es sich um einen Löwen handeln könnte.

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Immerhin gibt es in diesem Fall unbestechliche Zeugen, die nicht von Suggestion oder intensiver Medienberichterstattung befangen sind: Jag

Daniel Wom

Der in Berlin geborene Daniel Wom ist ein versierter Journalist mit einer starken Affinität für Wirtschaftsthemen. Er hat an der Freien Universität Berlin Journalistik und Wirtschaftswissenschaften studiert und arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt in den Medien. Daniel hat für verschiedene große Tageszeitungen und Online-Plattformen geschrieben und ist bekannt für seine tiefgründigen Analysen und klaren Darstellungen komplexer Sachverhalte. Er ist Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband und hat mehrere Auszeichnungen für seine exzellente Berichterstattung erhalten. In seiner Freizeit erkundet Daniel gerne die vielfältige Kulturszene Berlins und ist leidenschaftlicher Webentwickler.

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