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Debatte um Zugezogene in Berlin: Wer ist ein echter Berliner und wie lange gelten Neulinge als Zugezogene?

Wer ist eigentlich ein echter Berliner und wie lange gilt man als Zugezogener? Das ist eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist. Unser Kolumnist ist seit fast 35 Jahren in Berlin und fühlt sich wie ein Berliner, aber aus Sicht der Ureinwohner gilt er nicht als einer. Nur Menschen, die hier geboren sind und deren Eltern ebenfalls hier geboren sind, werden als waschechte Berliner angesehen.

Doch es geht hier nicht nur um die Frage der Berliner Identität, sondern um eine neue Losung, die in den Straßen rund um die Rigaer Straße immer häufiger zu finden ist: „Zugezogene raus!“ Ausgerechnet in einem Antifa-Kiez wird also immer offener fremdenfeindlich argumentiert. Ein ironischer Witz ist das sicherlich nicht, und man könnte genauso gut behaupten, dass jemand, der „Ausländer raus“ an ein Haus schmiert, auch nur einen Witz macht.

Die Zeiten der großen Ironie sind vorbei. Wir leben in ernsten Zeiten, in denen die Polizei wegen einer anderen Losung ermittelt: „Das ist nicht unser Krieg“. Ein Satz, der einige dazu verleitet hat, das „nicht“ durchzustreichen.

In Bezug auf die Zugezogenen ist die Faktenlage eindeutig. Im Kiez um die Rigaer Straße wohnen fast nur Zugezogene. Der Anteil der Berliner unter den Hausbesetzern lag sicherlich unter zehn Prozent, und in den Szenekneipen hört man heute kaum noch Berliner Akzent. Zudem sind die Mietpreise so hoch geworden, dass Umzüge fast unmöglich sind.

Berlin ist eine Einwanderungsstadt. Die Menschen kommen aus verschiedenen Städten und Ländern, sei es aus Aschersleben, Augsburg, Anatolien oder Arizona. Obwohl der aktuelle Regierende ein gebürtiger Berliner ist, stammen von den 17 Regierungschefs von West-Berlin nur sieben aus Berlin. Große Namen wie Ernst Reuter, Otto Suhr, Richard von Weizsäcker und Willy Brandt waren allesamt Zugezogene.

Die neue Losung sorgt für Debatten. An einer Ecke hat jemand „Schade“ dazugeschrieben, ein anderer ein „OK“ mit Ausrufezeichen. Doch ich lasse mir nicht vorschreiben, wo ich zu leben habe. Ich möchte weder wegziehen noch zwangsumgesiedelt werden. Ich bleibe ein Möchtegern-Berliner. Mir gefällt die schnodderige und trockene Art hier, die als Härte, aber eigentlich als Herzlichkeit zu verstehen ist. Ich lasse die Ureinwohner nicht allein.

Denn was wäre Berlin ohne seine Zugezogenen? Mehr als 54 Prozent der Bevölkerung sind Zugezogene. Und das sind die Zahlen aus dem Jahr 2020, seitdem sind noch viele Neu-Berliner dazu gekommen, zum Beispiel aus der Ukraine.

Diese Statistik zeigt deutlich, dass Berlin eine Stadt der Vielfalt ist. Die Zugezogenen tragen zu dieser Vielfalt bei und machen Berlin zu dem, was es ist. So lange man hier lebt und diese Stadt liebt, kann man sich durchaus als Berliner fühlen – egal wo man herkommt.

NAG Redaktion

Versierte Journalisten mit einer starken Affinität für Wirtschaftsthemen. Arbeiteten seit mehr als einem Jahrzehnt in den Medien. Haben für verschiedene große Tageszeitungen und Online-Plattformen geschrieben und sind bekannt für tiefgründige Analysen und klare Darstellungen komplexer Sachverhalte.

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