Die kontroverse Empfehlung der Corona-Impfung für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren im Mai 2022 hat in Deutschland für viele Debatten und heftige Reaktionen gesorgt. Laut einem ehemaligen Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) wurden diese Empfehlungen nicht auf Grundlage medizinischer Erkenntnisse ausgesprochen, sondern aufgrund des großen öffentlichen Drucks durch Politik und Medien.
„Hätten wir aber die Empfehlung für Über-Fünfjährige nicht abgegeben, dann hätten wir eine Diskussion führen müssen, mit der wir uns selbst ins gesellschaftliche Abseits gestellt hätten“, sagte der anonyme Ex-Mitarbeiter der Stiko in einem Interview mit der „Welt“. Intern habe die Stiko die Auswirkungen der mRNA-Impfstoffe auf Kinder eingehend und kritisch beleuchtet, so der Ex-Mitarbeiter weiter. Die Erkenntnisse über die möglichen Folgen der Impfungen auf den kindlichen Körper waren dem Gremium dabei unklar.
Öffentlicher Druck auf die Stiko
Besonders deutlich wird die Brisanz der Situation durch die Aussage des damaligen Stiko-Vorsitzenden Thomas Mertens im Dezember 2021. Er sagte damals, dass er sein siebenjähriges Kind derzeit nicht impfen lassen würde – ein Statement, das in der „Süddeutschen Zeitung“ als „gefährlich“ bezeichnet wurde. Mehrere Ministerpräsidenten, darunter Markus Söder (CDU), kritisierten Mertens heftig und legten ihm eine „Befangenheit“ nahe. Joachim Stamp (FDP), der damalige Familienminister von Nordrhein-Westfalen, äußerte Zweifel daran, ob die Stiko in ihrer damaligen Besetzung weiterverwendet werden könne.
Diese massiven Reaktionen zeigen die enormen Erwartungen, die seitens der Politik an die Stiko gestellt wurden. Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte noch im November 2021 gesagt, es spreche nichts gegen die Impfung von Kindern. Diese politische Gewichtung führte offensichtlich dazu, dass die Stiko, die offiziell beim Robert Koch-Institut (RKI) angesiedelt und dem Gesundheitsministerium unterstellt ist, unter enormem Einfluss stand. Das zeigt auch ein RKI-Protokoll vom 19. Mai 2021, in dem der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ankündigte, ein Impfprogramm zu planen, auch wenn die Stiko keine Empfehlung aussprechen würde.
Interne Diskussionen und Rücknahme der Empfehlungen
Nach den Aussagen des anonymen Ex-Mitglieds versuchte die Stiko, die Empfehlungen rasch zu korrigieren. Noch im Dezember 2022 wurden die Empfehlungen vollständig zurückgezogen. Dabei habe man es jedoch versäumt, öffentlich zuzugeben, dass einige Empfehlungen auf „dünnem Boden“ standen. Stattdessen habe man der Politik mit der Empfehlung ein „Gütesiegel“ verliehen. Der Ex-Mitarbeiter bemängelt, dass dies nicht transparent genug kommuniziert worden sei.
Obwohl keine direkten Vorgaben des Gesundheitsministeriums an die Stiko existierten, befand sich das Gremium in einer „Druckblase“ der politischen Eliten, die alle Mitglieder beeinflussten. Dies zeigt die Komplexität und die Spannungsfelder, in denen die Stiko und deren Mitglieder operierten.
Im Februar 2024 wurde schließlich ein weitgehender Umbau der Stiko unter der Leitung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach bekanntgegeben. Mehr als zwei Drittel der Stellen wurden überraschend neu besetzt, was laut Multipolar gegen den Willen des Gremiums erfolgte. Die neuen Mitglieder kamen teilweise aus der Pharmaindustrie oder standen der Bundesregierung nahe. Ziel dieses Umbaus sei es, dass zukünftige Impfempfehlungen schneller beschlossen werden können.
Reaktionen und weitere Entwicklungen
Diese Entwicklungen werfen ein Schlaglicht auf die politische Einflussnahme und den öffentlichen Druck, denen die Stiko ausgesetzt war. Kritiker sehen darin einen gefährlichen Eingriff in die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Entscheidungsfindung. Die Maßnahmen zur Neubesetzung der Stiko und die Art und Weise, wie dies durchgeführt wurde, haben viele Fragen und Diskussionen ausgelöst. Es bleibt abzuwarten, wie die zukünftige Arbeit der Stiko und deren Entscheidungen in der Bevölkerung aufgenommen werden.
Historische Parallelen zur Impfempfehlung
Die Diskussion um Impfvorgaben hat eine lange Geschichte. Bereits in den 1970er Jahren gab es in Westdeutschland eine Debatte über die Notwendigkeit und Sicherheit der Pockenimpfung, die damals Pflicht war. Ähnlich wie bei der Corona-Impfung für Kinder, gab es auch damals unterschiedliche Meinungen innerhalb der medizinischen Fachwelt und politischen Druck. Ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch in der Art der Krankheit: Während Pocken eine tödliche Bedrohung für alle Altersgruppen darstellte, wurden Kinder bei COVID-19 in der Regel nicht schwer krank.
Ein anderer relevanter Fall ist die Schweinegrippe (H1N1) im Jahr 2009. Auch hier war die Impfempfehlung stark umstritten, und die spätere Bilanz zeigte, dass die Krankheitswelle nicht so katastrophal ausfiel wie zunächst befürchtet. Die durch Medien und Politik verstärkte öffentliche Wahrnehmung spielte in beiden Fällen eine große Rolle bei der Entscheidungsfindung der Gesundheitsbehörden.
Hintergründe zur Ständigen Impfkommission (STIKO)
Die Ständige Impfkommission (STIKO) wurde 1972 gegründet und hat die Aufgabe, Impfempfehlungen für Deutschland zu erarbeiten. Diese Empfehlungen sind nicht rechtlich bindend, dienen jedoch als Grundlage für öffentliche Impfprogramme und beeinflussen die Entscheidungen von Ärzten und Patienten. Das Gremium besteht aus rund 18 unabhängigen Fachleuten, die in regelmäßigem Turnus ernannt werden.
Die STIKO arbeitet dabei eng mit dem Robert Koch-Institut (RKI) zusammen und steht unter der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Trotz ihrer Unabhängigkeit sehen sich die Mitglieder immer wieder politischen und gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt, wie der aktuelle Fall und frühere historische Fälle gezeigt haben.
Statistiken und Daten zur Kinderimpfung
Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) haben sich die Impfquoten für Kinder während der COVID-19-Pandemie unterschiedlich entwickelt. Während zu Beginn der Impfkampagne eine hohe Bereitschaft zur Impfung bestand, sank diese mit zunehmender Skepsis und öffentlichen Diskussionen. Im Dezember 2022 lag die Impfquote bei Kindern zwischen 5 und 11 Jahren bei etwa 20%, während sie bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren rund 60% betrug.
Eine Umfrage des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigte zudem, dass Eltern vor allem Bedenken hinsichtlich der Langzeitwirkungen der mRNA-Impfstoffe hatten. Rund 45% der befragten Eltern gaben an, die Impfung ihrer Kinder abzulehnen, solange keine umfassenderen Daten über die Sicherheit vorliegen.
Es ist auch bemerkenswert, dass internationale Zahlen ähnliche Trends zeigen. In den Vereinigten Staaten lag die Impfquote für Kinder in derselben Altersgruppe ähnlich niedrig, trotz intensiver Werbekampagnen und Bemühungen, die Impfbereitschaft zu steigern.
Weitere Informationen und aktuelle Neuigkeiten zur Arbeit der STIKO finden Sie auf den Webseiten des Robert Koch-Instituts und des Bundesministeriums für Gesundheit.
– NAG