Berlin Aktuell

Wie beeinflusst die familienfeindliche Politik in Deutschland die Elterngelddebatte und die Kinderbetreuung? Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus der Schweiz und Berlin.

Wie familienfreundlich ist Deutschland? Diese Frage wird derzeit intensiv diskutiert. Der Anstoß für die Debatte ist der Vorschlag des Familienministeriums, das Elterngeld für Paare mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 150.000 Euro zu streichen. In diesem Zusammenhang titelte der Tagesspiegel: "Wer will noch Kinder in diesem familienfeindlichen Staat?". Die Autorin des Kommentars weist darauf hin, dass das Problem weit über die Kürzung des Elterngeldes hinausgeht. Sie erwähnt die unzureichende Betreuung in Kindertagesstätten und die Gender Pay Gap als weitere Aspekte. Als Schweizerin, die seit vier Jahren in Berlin lebt, finde ich die Familienstrukturen in dieser Stadt gut, sogar fast paradiesisch im Vergleich zur Schweiz. Obwohl die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt gehört, erhält man dort keine finanzielle Unterstützung für Familien. Laut einer UNICEF-Studie ist die Schweiz in Sachen Familienfreundlichkeit Schlusslicht, während Deutschland immerhin den sechsten Platz von insgesamt 31 untersuchten Ländern belegt. Trotzdem wollte ich unbedingt Kinder. Ende 2016 brachte ich in Zürich meinen Sohn zur Welt. Mit fast 36 Jahren fühlte ich mich bereit für dieses Abenteuer. Die Vereinbarkeit von Karriere und Kind schien mir in jungen Jahren schwierig, und ich bin sicherlich nicht allein mit dieser Sorge. Im Jahr 2021 lag die zusammengefasste Geburtenrate in der Schweiz mit 1,52 Kindern pro Frau knapp unter dem EU-Durchschnitt von 1,53. Allerdings gehören wir mit durchschnittlich 31,2 Jahren bei der Geburt unseres ersten Kindes zu den ältesten Müttern Europas. In einem Pekip-Kurs tauschte ich mich mit anderen Frauen in ihren Dreißigern über Schlafprobleme, Stillen und Windeln aus. Unsere Babys waren damals nicht älter als ein halbes Jahr und machten ihre ersten Drehversuche in einem überheizten Raum. Die finanzielle Unterstützung endet nach 98 Tagen nach der Geburt. Spätestens sechs Monate nach der Geburt kehren die meisten Frauen in den Beruf zurück und haben keine Zeit mehr für Krabbelgruppen. Dennoch hatten wir das Privileg, uns einen längeren unbezahlten Urlaub leisten zu können, den unsere Arbeitgeber genehmigten. Mutterschaftsurlaub, das sind die 14 Wochen, in denen eine Frau rechtlich Anspruch auf mindestens 80 Prozent ihres Lohnes hat. Seit 2021 haben auch Väter Anspruch auf zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub. Zuvor waren es nur ein oder zwei Tage. Danach wird in der Regel der finanzielle Support eingestellt, es sei denn, der Arbeitgeber oder das Wohnland ist großzügiger. In Zürich betrug der Mutterschaftsurlaub 16 Wochen. Immerhin haben Frauen in dieser Zeit nach der Geburt und während der Schwangerschaft Kündigungsschutz. Es gibt jedoch kein Elterngeld, Elternzeit oder Mutterschutz wie in Deutschland. Die Devise lautet: Arbeiten, bis die Fruchtblase platzt. Meine Gedanken darüber, wie es sein würde, Mutter zu sein, waren vor der Geburt nicht besonders ausgeprägt. Ich las lediglich ein Buch über französische Kinder, die angeblich bereits mit drei Monaten durchschlafen. Ich war überzeugt, dass es mir genauso gelingen würde. Schließlich kehrte ich nach den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub als gute Schweizerin wieder in den Arbeitsalltag zurück. In der Schweiz wird bis zur Geburt gearbeitet, als gäbe es kein Morgen. Als mein Sohn das Alter von drei Monaten erreichte, schlief er weder durch noch hatten wir einen geregelten Tagesablauf. Zu diesem Zeitpunkt schien das Berufsleben in weiter Ferne zu liegen. Das Schreiben von Artikeln für meine Zeitung als Redakteurin schien undenkbar. Glücklicherweise hielt mein Arbeitgeber meine Stelle für acht Monate frei. Denn erst nach dem dritten Monat konnte ich das Muttersein so richtig genießen. Mein Sohn und ich waren die meiste Zeit unterwegs, und wir verbrachten den Sommer im Freibad. Den Lohnausfall und die Lücken in meiner Altersvorsorge nahm ich dafür gerne in Kauf. Im August musste ich zurück in meine Redaktion. Mit einem dicken Kloß im Hals brachte ich mein Baby in die Kita-Eingewöhnung. Ich war noch nicht bereit für diese Trennung. In der Schweiz fühlt man sich als Mutter an vergangene Zeiten in Deutschland erinnert, als es noch kein Elterngeld gab. Kein Wunder, dass viele darüber nachdenken auszuwandern. Zum Glück gewöhnte sich mein Sohn gut in der Kita ein. Die Mitarbeiter waren einfühlsam und nahmen sich viel Zeit. Nach ungefähr zwei Wochen konnte ich mein fast acht Monate altes Baby problemlos dort lassen. Dennoch frage ich mich manchmal, ob diese frühzeitige Fremdbetreuung die sichere Bindung von kleinen Kindern beeinflusst. Tatsächlich werden viele Babys bereits mit vier Monaten in die Kita eingewöhnt. Hannes Bielas, ein Freund von mir und Kinderpsychiater, ist der Meinung: "Bei guter Betreuung sollte dies kein Problem sein - glückliche Eltern, glückliche Kinder." Hannes hat selbst lange in Zürich gelebt. Als sein Sohn neun Monate alt war, entschieden er und seine Frau, nach Berlin zurückzukehren. Er konnte es sich nicht vorstellen, einen Großteil seines Einkommens für die Kita auszugeben. Auch von meinem Gehalt musste ein großer Teil für die Betreuung meines Sohnes abgezogen werden. An zwei Tagen pro Woche besuchte er die Krippe, was uns monatlich rund 1000 Euro kostete - bei einer Vollzeitbetreuung wären es 2500 Euro. Es überrascht nicht, dass nur wenige Menschen dieses Angebot nutzen, obwohl bruttoeinkommen von 6500 Euro und mehr völlig normal sind und es bei kleinerem Gehalt manch

NAG Redaktion

Versierte Journalisten mit einer starken Affinität für Wirtschaftsthemen. Arbeiteten seit mehr als einem Jahrzehnt in den Medien. Haben für verschiedene große Tageszeitungen und Online-Plattformen geschrieben und sind bekannt für tiefgründige Analysen und klare Darstellungen komplexer Sachverhalte.

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