Verfasser: In den folgenden Tagen hat Alfonso Pantisano, Berlins erster Queer-Beauftragter, bereits viel Aufsehen erregt. In einem Interview spricht er über seine Anzeige gegen Julian Reichelt und wie er den Regierenden zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache ermutigen will.
„Loud and proud“ ist ein Schlachtruf der queeren Community, besonders im aktuellen Pride Month. Was bedeutet das für Sie persönlich?
Pantisano: Für mich bedeutet das, meine Stimme für die queeren Communities zur Verfügung zu stellen. Ich möchte ihnen dienen, damit ihre Anliegen dort gehört werden, wo es notwendig ist.
Wie schwierig ist es für Sie, „loud and proud“ zu sein? In Interviews haben Sie oft von Ihrem traumatischen Coming-out mit 19 Jahren erzählt, als Ihre Eltern Sie schockiert vor die Tür gesetzt haben. Empfinden Sie immer noch starke Emotionen, wenn Sie darüber sprechen, oder haben Sie es bereits verarbeitet?
Pantisano: Ich habe es verarbeitet. Es hat mich tatsächlich viele Jahre Therapie gekostet, um die damaligen Wunden zu Narben werden zu lassen, die wahrscheinlich nie ganz verschwinden werden. Aber seit vielen Jahren bin ich ein stolzer schwuler Mann, der sein Leben liebt und glücklich lebt.
Die letzten Tage haben gezeigt, dass Sie möglicherweise für einige Menschen zu „laut“ und zu „stolz“ sind. Die queere Community ist jedoch oft noch sehr leise, wenn es darum geht, ihre Anliegen hörbar zu machen. Wir leben in einem System, das sich immer noch wohl dabei fühlt, Minderheiten kleinzuhalten. Aber in der Gesellschaft im Jahr 2023 sollte unser Anspruch doch sein, dass alle gleichberechtigt sind und die gleichen Chancen haben. Das gilt nicht nur für queer Menschen, sondern auch für Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Ärmere. Die queere Community kämpft nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, weil wir wollen, dass alle gleichberechtigt an der Tafel der Inklusion sitzen.
Sie haben in Ihren anderthalb Wochen im Amt bereits Schlagzeilen gemacht, da Sie den ehemaligen Chefredakteur der „Bild“ Julian Reichelt angezeigt haben. Er hatte auf Twitter geschrieben, dass vor der Polizei und den „düsteren Fassaden unserer Geschichte“ nie wieder Flaggen politischer Bewegungen gehisst werden sollten. Sie sehen darin Volksverhetzung, während Ihre Kritiker die Anzeige als Angriff auf die Pressefreiheit betrachten.
Pantisano: Es ist mein Auftrag als Demokrat, Desinformation, Falschinformationen, Propaganda und all die anderen Dinge, die unsere Demokratie angreifen, zur Anzeige zu bringen. Das habe ich getan und darauf bin ich stolz. Aus meiner Sicht hat Julian Reichelt genau das erreicht, was er beabsichtigt hat, denn seine Anhänger behaupten nun, dass die Regenbogenflagge genauso schlimm sei wie die Hakenkreuzflagge und dass wir genauso schlimm seien wie die Nazis. Reichelt hat die Menschen aufgehetzt. Hetze ist sein Geschäft, damit verdient er Geld und zerstört unsere Demokratie. Deshalb lautet meine Einladung an alle: Lasst uns zusammenstehen und diesem rechten Terror, der sich auf den Weg macht, Einhalt gebieten.
CDU-Fraktionschef Dirk Stettner wollte sich in dieser Angelegenheit nicht mit Ihnen solidarisieren. Er erklärte, dass Sie nicht im Namen des Landes Berlin oder des Senats handeln würden.
Pantisano: Als Berliner Queer-Beauftragter wurde ich ernannt, um als Ansprechpartner für das queere Berlin im Landesregierung zu fungieren. Alles, was ich tue, stimme ich mit der Hausleitung meiner Senatsverwaltung ab. Alles andere muss Herr Stettner mit den anderen Beteiligten klären. Ich habe meinen Job so erfüllt, wie es mir vom Senat auferlegt wurde.
In Ihrer neuen Position werden Ihre Äußerungen sehr genau beobachtet. Nach einem Interview mit der „Welt“ wurde Ihnen vorgeworfen, die Homosexuellenfeindlichkeit in der arabischen und muslimischen Gemeinschaft zu verharmlosen. Wie stehen Sie dazu?
Pantisano: Das ist natürlich nicht der Fall. Ich lasse mich nicht in dieses Narrativ der Springer-Presse einbinden, dass immer die Anderen Schuld daran sind, wenn wir über Homophobie sprechen. Im Hintergrund schreit dann sehr laut das Wort „Rassismus“. Wir haben ein Problem in Teilen der muslimisch geprägten Gesellschaft, aber wir haben auch ein großes Problem in anderen Religionen, insbesondere in der katholischen Kirche. Wir haben auch ein Problem mit Menschen, die atheistisch sind und glauben, dass mein Lebensstil falsch ist. Wir haben es mit rechten Strukturen zu tun, die meine Art zu leben und meine Familie gefährden. Wenn wir in Deutschland wirklich etwas verändern und die Situation für queer Menschen verbessern wollen, müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen und uns fragen: Wie homophob sind wir eigentlich?
Am kommenden Samstag findet der Christopher Street Day statt, der wichtigste Feiertag für die queere Community. Es wird Ihr 30. CSD sein – und vielleicht der langweiligste, da Sie sich jetzt in einer offiziellen Position etwas zurückhalten müssen, auch in Bezug auf Ihr Outfit?
Pantisano: Zurückhalten war noch nie eine Eigenschaft, die ich an mir schätze. Aber die Zeiten, in denen ich mit Federboas, Glitzer und kurzen Shorts zum CSD gegangen bin, sind vorbei. Ich freue mich sehr auf den CSD, besonders jetzt in meiner Funktion. 30 Jahre nach meinem Coming-out, 30 Jahre nachdem meine Eltern mich rausgeworfen haben, stehe ich nun auf den Straßen Berlins und weiß, dass ich mit meiner Stimme einen Beitrag leisten kann. Ich kann den queeren Menschen, die viele Forderungen haben, in den kommenden Jahren dienen. Und ich hoffe, dass die Menschen verstehen, dass wir genügend Gründe haben, auf die Straße zu gehen.
Welche Botschaften erwarten Sie von Regierendem Bürgermeister Kai Wegner, wenn er den CSD eröffnet?
Pantisano: Ich finde es großartig, wie Kai Wegner in der queeren Community präsent ist und sie unterstützt. Das begeistert mich wirklich. Ich würde mir wünschen, dass wir uns irgendwann zusammensetzen und darüber sprechen können, ob bei einer Tasse Kaffee oder bei einem lockeren Gespräch über unsere Hunde. Vielleicht können wir auch über geschlechtergerechte Sprache sprechen. Eventuell könnte Kai Wegner einen weiteren Schritt auf die Community zugehen.
Das Online-Magazin queer.de kritisiert, dass Wegner vor den Wiederholungswahlen erklärt hat, dass er das Landes-Antidiskriminierungsgesetz abschaffen möchte und dass er sich weigert, geschlechtergerechte und trans