Berliner Charité erwartet mehrere Millionen Euro Defizit
Aktualisiert: 23.07.2023, 06:00 | Lesedauer: 5 Minuten
Die finanziell angespannte Lage vieler Krankenhäuser in Deutschland trifft auch die Berliner Universitätsklinik Charité. Nach ausgeglichenen Ergebnissen 2022 erwartet Charité-Vorstandschef Heyo Kroemer für 2023 ein erhebliches Defizit: „Wir gehen von einem signifikanten zweistelligen Millionenbetrag aus“, sagte Kroemer im Interview mit der Berliner Morgenpost.
Im vergangenen Jahr hatte Deutschlands größte Universitätsmedizin trotz der Corona-Pandemie noch ein nahezu ausgeglichenes Ergebnis erwirtschaftet. Das gelang auch deswegen, weil das Land Berlin der Charité die nachlaufenden Corona-Verluste ausgeglichen hatte.
Krankenhäuser können gestiegene Kosten nicht an die Kundschaft weitergeben
Wie groß das Minus in diesem Jahr genau ausfallen wird, könne er noch nicht sagen, so Kroemer. Anfang des Jahres habe man unter den rund 17.000 Beschäftigten noch hohe Krankenstände gehabt, auch Streiks habe es gegeben. Aber auch „die Leistungsseite und damit die Erlöse“ hätten sich „bisher nicht so bezogen auf das Niveau vor der Pandemie entwickelt, wie wir das erwartet hatten“, sagte der Charité-Chef.
Die finanziellen Nöte der Berliner Universitätsmedizin stehen aber auch stellvertretende für die meisten Kliniken in Deutschland. Während Gastronomen, Industriebetriebe oder Handwerker gestiegene Kosten an die Kundschaft weitergeben könnten, gehörten Krankenhäuser zu den „wenigen großen Wirtschaftsbetrieben, die ihre Preise nicht erhöhen können“, sagte Kroemer.
Wegen Personalmangels liegen bis zu 15 Prozent der Kapazitäten still, Erlöse fehlen
Die Preisfindung über die Fallpauschalen laufe immer etwa anderthalb Jahre nach. „Im Moment bekommen wir Kosten erstattet, die darauf basieren, als wären wir noch vor der Tariferhöhung der Länder, vor der Inflation. Das setzt im Moment alle Krankenhäuser sehr stark unter Druck, weil sie geringe Möglichkeiten haben, sich auf die geänderten Bedingungen einzustellen. Deshalb ist die wirtschaftliche Situation im Bereich der stationären Versorgung sehr schwierig“, so der Charité-Vorstandschef.
Die Krankenhäuser brächten aber auch weniger Leistungen und erlösten entsprechend weniger Geld von den Krankenkassen für die Patientenbehandlung als vor Corona. Zehn bis 15 Prozent der Versorgungskapazitäten seien durchschnittlich nicht am Netz, sagte Kroemer, alle hätten weniger Fallzahlen, auch die Charité. „Das liegt an der Schwierigkeit, ausreichend Personal zu bekommen, insbesondere in der Pflege. Auch durch den Entlastungstarifvertrag und die Richtlinien, wie viele Mitarbeitende pro Bett einzusetzen sind, ist völlig klar, dass wir mit derselben Personalstärke weniger machen können als 2019“, erklärte der Pharmakologe, der die Charité seit September 2019 führt.
Charité-Chef Kroemer erklärt Reformbedarf mit dem Mangel an Fachkräften
Als Ratgeber des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) ist Kroemer auch einer der Köpfe hinter der geplanten Krankenhausreform. Er saß in der Expertenkommission, die Anfang des Jahres das erste Konzept für die Neuordnung der deutschen Krankenhauslandschaft vorgelegt hatte. Auch für die umstrittene Reform nannte Kroemer den Mangel an Fachkräften als wesentliche Triebfeder.
Gerade kleinen, wenig spezialisierten Kliniken auf dem Land werde es angesichts der demografischen Entwicklung immer schwerer Fallen, Personal zu gewinnen. „Wenn diese Häuser nicht sehr spezialisiert sind, werden solche Kleinstkrankenhäuser nicht mehr wirtschaftlich führbar sein. Wenn es keine Reform gibt, hat das derzeitige System keine Zukunft“, prophezeite der Klinik-Manager.
Krankenhausgesellschaften fordern von Bund und Ländern den Schutz vor Insolventen
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht davon aus, dass mindestens 60 Prozent der Krankenhäuser derzeit rote Zahlen schreiben und fordert vom Staat den Schutz vor Insolvenzen. Auch der Chef der Berliner Krankenhausgesellschaft Marc Schreiner warnt, es könne zu einer unkontrollierten Pleitewelle kommen, wenn Bund und Land nicht schnell zusätzliche Summen an die Häuser überwiesen.
Charité-Chef und Lauterbach-Berater Kroemer bremste jedoch entsprechende Erwartungen. Im Zuge der auf den Weg gebrachten Krankenhausreform werde sich „dieses und nächstes Jahr finanziell wahrscheinlich nichts tun“. Die neue Vergütungsstruktur mit stärkeren Zahlungen für das Vorhalten von Behandlungsmöglichkeiten und weniger Bedeutung für die tatsächlich versorgten Patienten über die Fallpauschalen solle erst mit zeitlicher Verzögerung gelten.
Charité-Chef Kroemer sieht keine Abhilfe während des Reformprozesses
„Deswegen müssen wir damit rechnen, dass die extreme finanzielle Problemlage in den kommenden beiden Jahren weiterbesteht. Insofern wird es akute finanzielle Probleme im Krankenhausbereich geben“, sagte Kroemer.
Hintergrund für diese Zurückhaltung ist eben genau der anstehende Bereinigungsprozess unter den Krankenhäusern und der erwarteten neuen Sortierung von Leistungen zwischen den Häusern. Die Politik möchte offenbar vermeiden, jetzt kurzfristig Geld in genau solche Strukturen zu pumpen, die man langfristig nicht mehr haben möchte.