„Macron hat die liberale Mitte zertrümmert“
Von: Michael Hesse
Stand: 05.07.2024, 23:26 Uhr
In Frankreich bewegt sich die politische Landschaft immer weiter nach rechts – ein Trend, der in vielen europäischen Ländern zu beobachten ist. Dies wirft Fragen über die Zukunft des liberalen Zentrums und die politische Stabilität des Landes auf. Besonders betroffen ist dabei die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron.
Ein Blick auf die Entwicklungen in Toulouse
Vor der zweiten Wahlrunde in Frankreich demonstrierten Anhänger:innen der Nouveau Front populaire, einer neuen Volksfront, in Toulouse gegen die rechten Bewegungen. Das zeigt, dass nicht nur politische Akteure, sondern auch die Bevölkerung stark von der aktuellen politischen Situation bewegt wird.
Olivier Roys Perspektive auf die politische Verschiebung
Der französische Politikwissenschaftler Olivier Roy erklärt, dass der Aufstieg des Rassemblement National (RN), einer rechtspopulistischen Partei, kein zufälliges Ereignis ist. Es spiegelt eine größere Bewegung nach rechts in Europa wider.
Wer ist Olivier Roy?
Olivier Roy, geboren 1949, ist ein renommierter Politikwissenschaftler und Berater des französischen Außenministeriums. Am Nationalen Forschungszentrum in Paris ist er Forschungsdirektor und lehrt am Institut d’études politiques. Roy ist auch Professor am Robert Schuman Zentrum des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz und hat zahlreiche Bücher über politischen Islam und Islamismus veröffentlicht.
Eine Analyse der politischen Strategien
Roy stellt fest, dass populistische Parteien in Europa, wie Marine Le Pens RN in Frankreich oder Wilders in den Niederlanden, nicht unbedingt auf die Wiederherstellung traditioneller Werte setzen. Stattdessen gewinnen sie an Boden, indem sie modernere soziale Werte vertreten.
Macron hat ebenfalls eine stärkere rechte Politik betrieben, in der Hoffnung, Wähler von Marine Le Pen abzuziehen. Doch dieser Plan ging nach hinten los. Je mehr seine Politik sich der von Le Pen annäherte, desto mehr verlor er Anhänger an das Original, den RN. Dies führte zu einer Fragmentierung der liberalen Mitte, die Macron entscheidend schadet.
Das politische Chaos in der Assemblée Nationale
Obwohl unklar ist, ob der RN die Mehrheit in der Nationalversammlung erlangen wird, ist eines sicher: Ein Fehlen einer klaren Mehrheit wird zu Chaos führen. Macrons Partei kann weder mit der extremen Linken noch mit der moderaten Linken eine stabile Koalition bilden. Dies schließt eine zentristische Lösung faktisch aus und bringt das politische System Frankreichs an den Rand einer Kohabitation zwischen dem Präsidenten und einer feindlichen Mehrheit.
Die Rolle der Medien und Mélenchons Schwächen
Ein weiterer Faktor, der zu Macrons Schwierigkeiten beiträgt, ist die Medienlandschaft in Frankreich, die von Milliardären wie Vincent Bolloré beeinflusst wird. Die negative Berichterstattung und die rhetorischen Schwächen von Mélenchon haben eine Feindseligkeit gegenüber der Linkskoalition verstärkt, was Le Pen zugutekommt.
Folgen für Europa
Ein möglicher Wahlsieg von Le Pen könnte erhebliche Auswirkungen auf Europa haben. Obwohl sie vorsichtiger als andere rechte Politiker wie Éric Zemmour ist, würde ihre Politik dennoch eine Tendenz verstärken, die bereits durch Macron initiiert wurde: eine autoritäre Säkularisation und eine verstärkte nationale Bevorzugung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die politische Landschaft in Frankreich vor einem entscheidenden Wendepunkt steht. Die Fragmentierung der Mitte und das Aufstreben rechter Kräfte stellen nicht nur Frankreich, sondern auch das gesamte europäische politische Gefüge vor große Herausforderungen.
- NAG