Gemäß einem Bericht von www.berliner-zeitung.de,
Als gebürtige Prenzlauer Bergerin, die jahrelang an der Schönhauser Allee und im Helmholtzkiez gelebt hat, dachte ich eigentlich, ich hätte dort alles erlebt und gesehen. Unter anderem deswegen zog ich irgendwann raus an den Stadtrand: Prenzlauer Berg, so das Gefühl, hatte mir nichts mehr zu sagen.
Jetzt bin ich nur noch zum Einkaufen oder auf der Durchreise in meinem alten Stadtteil, an dem mich irgendwann nervte, dass es hier zu wenig Alte, zu wenig Mischung, zu viel Spießbürger- und Hipstertum gab. Doch als ich neulich mal wieder einen Coffeeshop an der Schönhauser Allee betrat, wurde ich eines Besseren belehrt.
Ich bestellte bei der Frau hinterm Tresen einen Chai Latte, das einzige Hipstergetränk, das in meinem Lieblingsgetränkekanon Zutritt hat. Die Frau fragte nach der gewünschten Geschmacksrichtung meines Gewürztees, was ich mit „Tiger Spice“ beantwortete. Nun blickte sich die Angestellte Hilfe suchend zwischen all den im Regal aufgereihten Teedosen um und fragte schließlich, welche Farbe die Sorte habe.
Sie könne nicht richtig lesen und schreiben, erklärte mir die Frau und setzte dann zu einer längeren Erzählung an. Sie sei vor vielen Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, verheiratet mit einem Mann, der sie zum Hausmütterchen habe machen wollen. Sie sollte daheim bleiben, kochen, putzen, kein Deutsch lernen, bloß nicht selbst- und eigenständig werden. Sondern weiterhin abhängig von ihrem Mann.
„Aber nicht mit mir“, versicherte mir die Frau. Sie habe hier in Berlin zwei Ziele gehabt: den Führerschein und eine eigene Arbeit. Als sie beides erreicht hatte, setzte die Frau ihr drittes Vorhaben um, wie sie mir stolz erklärte – „die Scheidung von meinem Mann!“.
Da stand sie nun vor mir, diese kleine Person. Resolut, ohne aufgebracht zu sein, dabei ganz klar in der Sache. Eine Frau, die ihren Weg gegangen ist. Die sich emanzipiert hat, ohne Kampfbegriffe zu nutzen. Die mit traditionellen Rollen brach und nun noch ein weiteres Ziel hat: „Klar, würde ich gern lesen und schreiben können, aber ob ich das jetzt noch schaffe? Mit 60 macht mein Gehirn doch nicht mehr so mit.“
Ich ermunterte sie, sprach ihr Mut zu. Mein Tee war inzwischen kalt geworden, aber mir wärmte diese Frau das Herz. Sie und die Tatsache, dass der Prenzlauer Berg mich immer noch überraschen kann.
Als ehemalige Bewohnerin des Prenzlauer Bergs kann ich bestätigen, dass der Stadtteil in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung durchgemacht hat. Die Gentrifizierung hat zu einem Anstieg der Mietpreise und zur Verdrängung von langjährigen Bewohnern geführt. Die Geschichte der Frau aus der Türkei spiegelt wider, wie sich das soziale Gefüge des Stadtteils verändert hat. Es ist inspirierend zu sehen, dass Menschen wie sie ihren Weg gehen und sich gegen traditionelle Rollenbilder und Unterdrückung zur Wehr setzen. Diese Geschichte zeigt, dass der Prenzlauer Berg trotz aller Veränderungen noch immer überraschend und vielfältig ist.