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Medizin-Studenten fordern Reform des Praktischen Jahres: Ein Interview über prekäre Arbeitsbedingungen und soziale Ungleichheit

Medizin-Studierende wollen am Mittwoch gegen prekäre Arbeitsbedingungen im Praktischen Jahr protestieren, auch in Berlin. Mitorganisatorin Alexandra Archodoulakis spricht im Interview über ihren Arbeitsalltag und soziale Ungleichheit.

rbb24: Das praktische Jahr soll in den Kliniken eigentlich das theoretische Wissen aus dem Studium verfestigen, bevor die Studierenden ihre Examina schreiben. Inwieweit wird in der Realität wirklich gelehrt?
Alexandra Archodoulakis: Eigentlich soll es die Fertigkeiten festigen. De facto bemerken wir aber natürlich auch in der Lehre den Mangel an Personal in den Kliniken. Das hängt dann immer an ein paar sehr engagierten Individuen auf Station, die sich dafür einsetzen.

Wie sieht das Praktische Jahr konkret aus? Welche Aufgaben werden übernommen?
Das kommt immer sehr darauf an, auf welcher Station man ist. In der Regel kommt man morgens um 6:30 Uhr an und läuft erstmal zwei Stunden bei der Visite mit, schaut sich die Patienten an und nimmt zwei, drei Stunden Blut ab. An einigen Kliniken gibt es dafür Blutentnahme-Dienste. An den Kliniken, wo es das nicht gibt, sind es eben die Studierenden, die das dann kompensieren, weil die Ärztinnen und Ärzte einfach keine Zeit dafür haben. Und wenn es dann nicht der Fall ist, dann steht man da und hält den Haken. Und das auch mitunter acht Stunden lang, ohne dass wirklich etwas erklärt wird. Wenn dann der Stress im Team auch noch sehr hoch ist, dann ist das Klima manchmal auch nicht gerade angenehm.

Wäre der Klinikbetrieb ohne die Studierenden im Praktischen Jahr überhaupt denkbar?
Nein, in den meisten Kliniken nicht. Das sieht man jetzt auch in Verbindung mit der Demo. Ich bin von einigen ärztlichen Kollegen gefragt worden, ob wir das bitte lassen können. Denn sie wissen nicht, wie die Station dann läuft.

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Ohne Sie läuft also eigentlich nichts, trotzdem werden die Studierenden im Praktischen Jahr nicht wie volles Personal bezahlt.
Ganz im Gegenteil - wir haben nicht mal einen Arbeitsvertrag. Wir reden auch gezielt nicht von Bezahlung, sondern von Aufwandsentschädigung, weil das ja eben Teil der Lehre sein soll. An der Charité zum Beispiel gibt es keine Aufwandsentschädigung. Da gibt es Essens-Gutscheine, die an den jeweiligen Tag gebunden sind. Damit ist die Charité aber auch – das muss man dazu sagen – neuerdings die letzte Uniklinik in Deutschland, die keine hat.

Wie lässt sich so ein Praktisches Jahr dann überhaupt finanzieren?
Es gibt einige Studierende, die Studienkredite dafür aufnehmen. Einige sind in der guten Situation, dass sie sich durch ihre Familie unterstützen lassen können. Es gibt aber auch einen Großteil, der nebenbei noch arbeitet. Wir haben eine Umfrage gemacht und das sind bei manchen tatsächlich bis zu 15 Stunden pro Woche – neben den 40 Stunden auf Station. Das war für mich erschreckend zu sehen. Das sorgt meiner Meinung nach für eine Chancenungleichheit, weil sich eben nicht jede Familie leisten kann, dass das Kind ein Jahr lang kostenfrei arbeitet.

Was macht diese Arbeitsbelastung mit Ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen?
In der Corona-Pandemie wurden die Studierenden ja großteils in verschiedenen Bereichen eingesetzt. Davor gab es schon eine große Arbeitsbelastung, die wurde dann noch einmal verstärkt. Da nutzt man dann die Studientage, die wir einmal die Woche haben – eigentlich um zu lernen – um zu schlafen, sich zu erholen oder eben:, um zu arbeiten, wenn man es muss. Es gibt schon einige Beispiele in meinem Umfeld, wo man sich im Praktischen Jahr in so eine Stresssituation begibt, dass man am Ende mit einem existenten Burnout – oder wie wir das manchmal zum Spaß nennen: "leicht angekokelt" - in ein Gesundheitssystem startet, das nicht gerade fördernd für die mentale Gesundheit ist.

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Sie haben im Praktischen Jahr Anspruch auf 30 Fehltage. Dabei wird nicht zwischen Krankheits- und Urlaubstagen oder auch Kinder-Krankentagen unterschieden. Wie viele davon gehen wirklich für die Erholung drauf?
Ich kenne nur ganz wenige Studierende, die sich davon wirklich Urlaub nehmen. Wenn ich es richtig im Kopf habe, kann man sich 20 Tage fürs Ende aufheben. Die werden eigentlich immer dafür verwendet, dass man sich aufs dritte Staatsexamen – auf die letzte Abschlussprüfung - vorbereitet. Wenn sie nicht zum Lernen benutzt werden, dann eben für die Arbeit nebenbei oder wenn man krank ist. Weil auch Krankheitstage von den Fehltagen abgezogen werden. Das ist natürlich ein komplett falscher Anreiz und führt im schlimmsten Fall dazu, dass jemand, der krank ist und eigentlich ins Bett gehört, Patientinnen und Patienten versorgt.

Wie lauten also Ihre Forderungen?
Wir haben vier spezifische Forderungen. Wir fordern standardisierte Lehrformaten für die bessere Lehre. Es soll wie in der Uni zu bestimmten Zeiten Unterricht für Studierende geben, wo Inhalte vermittelt werden. Zweitens: die Trennung von Kranken- und Fehltagen. So, dass man krank werden kann und es nicht der Kulanz der Klinik obliegt, ob die Krankheitstage von den Fehltagen abgezogen werden. Als dritte Forderung wollen wir einen geregelten Zeitraum haben zwischen dem Ende des Praktischen Jahres und dem dritten Staatsexamen. In Berlin ist es so, dass die Prüfungstermine manchmal erst sehr spät bekanntgegeben werden. Das führt leider dazu, dass einzelne Studierende mit frühen Terminen dann nur zwei Wochen Zeit haben, sich auf die Abschlussprüfung vorzubereiten. Damit dafür nicht die Fehltage verwendet werden müssen, fordern wir einen geregelten Mindestabstand von vier Wochen. Zuletzt ford

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Daniel Wom

Der in Berlin geborene Daniel Wom ist ein versierter Journalist mit einer starken Affinität für Wirtschaftsthemen. Er hat an der Freien Universität Berlin Journalistik und Wirtschaftswissenschaften studiert und arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt in den Medien. Daniel hat für verschiedene große Tageszeitungen und Online-Plattformen geschrieben und ist bekannt für seine tiefgründigen Analysen und klaren Darstellungen komplexer Sachverhalte. Er ist Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband und hat mehrere Auszeichnungen für seine exzellente Berichterstattung erhalten. In seiner Freizeit erkundet Daniel gerne die vielfältige Kulturszene Berlins und ist leidenschaftlicher Webentwickler.

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