Berliner Morgenpost: USA bereit für eine weibliche Präsidentin / ein Kommentar von Gudrun Büscher zu Kamala Harris
Es ist faszinierend, wie neue Fragen plötzlich auftauchen. Ist es an der Zeit, dass eine Frau an der Spitze Amerikas steht? Wird Kamala Harris gegen Donald Trump scheitern, so wie es Hillary Clinton 2016 ergangen ist? Kann Harris aus den Fehlern von Clintons Kandidatur lernen?
Es ist wichtig, dass wir nüchtern analysieren, was sich derzeit in den Vereinigten Staaten abzeichnet. Eine äußerst kluge Juristin mit indisch-jamaikanischen Wurzeln könnte, wenn die USA am 4. Juli 2026 ihren 250. Geburtstag feiern, die erste Frau im Amt des Präsidenten sein. Sie steht für all das, was Donald Trump und seine Anhänger mit aller Kraft, mit allen Mitteln, mit einer noch nicht zu ermessenenden Wucht und Boshaftigkeit verhindern möchten. Sie steht für ein modernes, vielfältiges und liberales Amerika, das alle einschließt, die dieses Land groß gemacht haben. Was für eine vielversprechende Vorstellung!
Hillary Clinton schreibt in der „New York Times“, dass es sie immer noch schmerzt, „dass ich diese unsichtbare Barriere, die es Frauen erschwert an die Macht zu gelangen, nicht durchbrechen konnte. Dennoch bin ich stolz darauf, dass meine Kandidatur es normal dastehen ließ, eine Frau an der Spitze zu haben.“ Clinton hatte damals drei Millionen mehr Stimmen als Donald Trump – und hat dennoch verloren. Das US-Wahlsystem, dem alle unterworfen sind, die ins Weiße Haus wollen, ist so ungerecht. Doch die Zeiten haben sich geändert. Frauen sind durch die MeToo-Bewegung selbstbewusster und stärker geworden. Mehr Frauen als Männer schließen inzwischen ein Studium ab. Und immer noch wird in Europa völlig unterschätzt, welchen Schock das Supreme-Court-Urteil zur Abtreibung bei vielen Frauen ausgelöst hat.
Wenn die Demokraten Harris zur Kandidatin machen, wozu eigentlich kein Zweifel besteht, hat sie die Möglichkeit, die USA nicht nur groß, sondern wieder großartig zu machen. Ihr und ihrem Team dürfen jedoch keine Fehler unterlaufen. Harris braucht bei der Wahl ihres Stellvertreters ein gutes Händchen. Ihr Vizepräsident sollte all das verkörpern, was sie selbst nicht ist: männlich, moderat, religiös (wenn möglich) und verwurzelt in einem der Swing States. Zum Beispiel Josh Shapiro, Gouverneur von Pennsylvania. Er könnte die Lücke schließen, die Harris nicht so gut bedienen kann – die weiße Mittelschicht im Rostgürtel Amerikas.
Trotzdem hat Harris keine Chance, die Wähler in der rechten Mitte für sich zu gewinnen. Sie muss den etwa 35 Prozent der amerikanischen Wechselwähler ein überzeugendes Angebot machen und den Angriffen, die nun auf sie einprasseln, standhalten. Donald Trump hat bereits behauptet, sie sei „dumm wie ein Stein“, was wirkt wie pure Hilflosigkeit und ihm noch zum Verhängnis werden könnte. Sein Team scheint noch kein Rezept gegen Harris gefunden zu haben. Und Trump sollte aufpassen. Mit seinem Sexismus und Rassismus trifft er nicht nur seine Konkurrentin, sondern auch viele potenzielle Wählerinnen und Wähler.
Auch wenn Amerika viel patriarchalischer ist, als viele in Europa glauben mögen, bleibt es immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Wahl von Harris wäre für die USA nichts weniger als eine Wendezeit. Denn die Unterschiede zwischen den Kandidatinnen könnten nicht krasser sein. Trump steht für eine vergangene Welt. Harris steht für einen Aufbruch, den dieses Land dringend benötigt. Winston Churchill sagte einmal: „Die Amerikaner tun am Ende immer das Richtige. Nachdem sie zuvor alles andere ausprobiert haben.“ Sind also die USA bereit für eine Präsidentin? Yes, she Kam!