Titel: Alice Phoebe Lou – Zwischen Straßenmusikerin und internationaler Singer-Songwriterin
Ein warmer Mittwochnachmittag im Treptower Park. Wir treffen Alice Phoebe Lou zum Interview und Fotoshooting unweit der Klingenden Blume, einer Windspiel-Skulptur. Gut gelaunt radelt Lou auf ihrem kleinen Fahrrad zum Treffpunkt, trägt ein grau geblümtes Vintage-Kleid, eine orangefarbene Sonnenbrille, schwarze Sandalen mit türkisfarbenen Socken und eine Cap. Während ihre Band dicht beim Ostkreuz probt, nimmt sie Alice Phoebe Lou für die Berliner Zeitung eine Auszeit. Beim Fotoshooting ist sie offen für die Ideen des Fotografen, erkundigt sich neugierig nach der Ausrüstung. Sie selbst fotografiert am liebsten analog. Dann posiert sie mit dem Fahrrad, rennt durchs Gras, legt sich auf den Boden. Als Überraschungsgast gesellt sich ein kleiner Hund dazu, der mit ihr spielen will. Zum Gespräch setzen wir uns dann an den Bootsanleger an der Spree.
Alice Phoebe Lou im Treptower Park – Eine moderne Singer-Songwriterin mit Indie-Folk und Kammer-Pop
Gerade ist Lous fünftes Studioalbum „Shelter“ erschienen. Darauf verbindet die Singer-Songwriterin Indie-Folk mit Kammer-Pop, melancholische mit beschwingten Momenten. Sie croont mit ihrer charakteristischen Mezzosopranstimme noch behutsamer und sanfter als auf den Vorgängerplatten. Aufgenommen wurde das Album (analog auf Kassette!) neben einer ausgiebigen Tour in Kalifornien, Mexiko, Chile, Neuseeland, New York und Vancouver Island.
Obwohl sich Lou längst als international erfolgreiche Singer-Songwriterin etabliert hat, wirkt sie beim Fotoshooting und im Interview nahbar, offen und bodenständig. Die kostenlosen Open-Air-Konzerte, die sie regelmäßig im Treptower Park gibt, helfen ihr, abseits der sozialen Medien mit ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben. „Ich mag den sozialen Aspekt dieser Shows. Jeder kann kommen, man muss sich kein Ticket für 25 Euro leisten können“, sagt sie.
Eine Karriere, die auf der Straße begann – Alice Phoebe Lous charakteristischer Erfolg
Ihre Karriere begann die Südafrikanerin, die nahe Kapstadt aufwuchs, als Straßenmusikerin im Berlin der frühen 2010er-Jahre. Ein Video, in dem sie auf der Warschauer Brücke Lou Reeds „Walk on The Wild Side“ covert, hat inzwischen nahezu neun Millionen Klicks allein auf YouTube. Auch wenn die Identität als Straßenmusikerin tief in Lou verwurzelt ist, hadert sie doch mit ihrem alten Image. „Viele Leute sehen mich als süßes, junges Mädchen und wollen, dass ich immer so bleibe“, sagt sie. Früher hätten sie diese Projektionen unter Druck gesetzt. Inzwischen sei sie älter und selbstbewusster geworden. „Ich habe meinem Publikum vermittelt, dass ich mich verändere und weiterentwickle.“
Spätestens mit dem neuen, nunmehr vierten Album „Shelter“ dürfte diesen Fans klar werden, dass Alice Phoebe Lou mehr ist als die junge Straßenmusikerin von der Warschauer Straße. Auf dem Album übt sie sich in radikaler Offenheit, im Ausdruck der eigenen Gefühle und Verletzlichkeit. Sie singt offen über Innerlichkeiten, Beziehungen und Sehnsüchte. „Das Ziel meiner Musik ist es, dass die Zuhörer durch meine Lieder ihre Emotionen finden, etwas fühlen und mit ihrem Schmerz umgehen“, sagt sie. In den letzten Jahren hat sie selbst eine Therapie gemacht, sich mit musiktherapeutischen Methoden und den Theorien des Schweizer Psychoanalytikers Carl Gustav Jung auseinandergesetzt.
Trotz der Herausforderungen des vergangenen Jahres – Alice Phoebe Lou macht weiter
Trotz ihrer frohen Natur geriet die Sängerin im vergangenen Jahr in eine Krise. Nachdem sie die Pandemie mit den beiden Alben „Glow“ und „Child’s Play“ gut überstanden hatte, verlor sie ihre Einzimmerwohnung in Neukölln aufgrund von Eigenbedarf. Die diente ihr als Rückzugsort, an dem sie nach ausgiebigen Tourneen runterkommen konnte. Für Lou taten sich aus dieser Erfahrung heraus zahlreiche Themen auf; darunter das Älterwerden, ihre Zeit in Berlin, die damit verbundenen Freundschaften und die Zukunft. „Alle denken immer, dass ich vollkommen selbstbewusst und zufrieden bin“, sagt Alice Phoebe Lou. „Aber das Erleben von Schmerz gehört dazu. Nur so kann man glücklich werden.“ Die Suche nach einem Rückzugsort, einem Safe Space im Außen und Innen, thematisiert sie nun auch auf „Shelter“.
Viele der neuen Songs sind quasi als Dialoge zwischen Lous 19-jährigen und ihrem 29-jährigen Ich geschrieben. Den Titelsong „Open The Door“ schrieb sie in ihrer Berliner Anfangszeit und vollendete ihn zehn Jahre später. „I found a place inside that’s safe for me/ And now I wander the world alone but alive smiling on the inside“, singt sie auf dem soulig-atmosphärischen Track. Nicht nur auf „Shelter“, auch im Interview übt sich Lou in intimer Selbstreflexion. „Mit neunzehn bin ich nach Berlin gezogen und hier zur Frau geworden“, sagt sie. Auch der Song „My Girl“ ist ein Dialog zwischen der jugendlichen und der erwachsenen Alice. Der Song hat auch eine feministische Botschaft: „It’s a man’s world, my girl, my girl, my girl/ We gotta poke it, haunt it, stir it and flaunt it“.
Berlin – Ein wichtiger Ausgangspunkt, aber nicht der einzige
Im Gespräch kommt Lou immer wieder auf ihre Anfangszeit in Berlin ab 2013 zurück. „Ich hatte Glück, dass ich auf mich aufgepasst habe. Ich habe experimentiert und meine Jugend genossen, aber bin nie abgeglitten. Ich habe meine Zwanziger sehr gut überstanden, im Gegensatz zu anderen Leuten, die ich kenne“, sagt sie. Doch obwohl Berlin der Ausgangspunkt ihres Schaffens ist, verbringt sie immer weniger Zeit in der Stadt. Nachdem sie ihre Wohnung in Neukölln verlor, ist ihr Zuhause unterwegs, in Airbnb-Zwischenmieten oder Hotels.
Die Zukunft: Selbstbewusste Pläne und keine Angst vor dem Älterwerden
Wenige Tage nach dem Treffen im Treptower Park spielt Lou mit ihrer Band Strongboi im Gretchen. Trotz fast 30 Grad Außentemperatur ist die Location gut gefüllt. Lou steht vor Beginn ihres Sets im Fotograben, schießt ein paar analoge Fotos von der Vorband und begrüßt ihre Freunde im Publikum. Die Musik ihres LoFi-Popduos Strongboi ist deutlich elektronischer, grooviger und verspielter als die Songs ihres Soloprojekts. Für die Südafrikanerin scheint es ein Spaßprojekt zu sein, mit dem sie sich abseits der hohen Erwartungen an ihr Soloprojekt austoben kann.
Der Auftritt ist ein großes, ausgelassenes Freundestreffen. Dennoch lässt sie im Gespräch durchblicken, dass sie nicht für immer in Berlin bleiben wird. „Berlin war die perfekte Stadt für meine Zwanziger. Ich merke aber, dass ich andere Dinge vom Leben will. Ich brauche mehr Natur, das Meer. Die Dinge, mit denen ich aufgewachsen bin.“
Vor der Zukunft hat sie keine Angst mehr. „Als ich jünger war, dachte ich, dass man mit 30 alt ist. Mittlerweile habe ich viel an mir gearbeitet, bin zufrieden mit meinem Alter und selbstsicherer geworden. Die Vorstellung davon, dass Frauen