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Kerstin Schwitters: Fehlender Fokus auf Beziehung zwischen Lehrern und Schülern erschwert Bildungsarbeit

Sind die Erziehungsziele an Schulen noch zeitgemäß? Zum Berliner Zeugnistag ein Gespräch mit Kerstin Schwitters, die sagt: An Schulen liegt zu viel Fokus auf der Bewertung von Leistung – und zu wenig auf Verbesserung und Weiterentwicklung.

Frau Schwitters, welche Faktoren müssen stimmen, damit Schüler:innen erfolgreich lernen können?
Im Zentrum gelungener Bildungs- und Erziehungsarbeit steht immer die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Ohne Beziehungsarbeit, die es unter anderem ermöglicht, Stärken und Schwächen von Schüler:innen herauszufinden, kann Unterricht nicht motivierend, nachhaltig und effektiv sein. Leider wird dieser Faktor, auch wenn er längst durch Meta-Untersuchungen wie die Hattie-Studie von 2009 belegt ist, in den Diskussionen wie auch im Schulalltag zu oft vergessen oder zumindest vernachlässigt.

Kerstin Schwitters ist Gymnasiallehrerin für Deutsch und Französisch und stellvertretende Schulleiterin an der Evangelischen Schule Köpenick.

Wie wichtig sind dabei die eigenen schulischen Erfahrungen der Lehrkräfte?
Sie fließen immer in den eigenen Unterricht ein. Ohne die eigene schulische Geschichte zu reflektieren, sollte eigentlich niemand in den Lehrberuf gehen. Denn letztendlich kann ich nur das weitergeben, was ich selbst verkörpere. Doch leider fehlt dieser Aspekt in der Ausbildung bisher nahezu komplett. Sätze wie „Das hat uns auch nicht geschadet” zeugen von diesem blinden Fleck und sind alles andere als zeitgemäß.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Lehrer:innen eine gute Beziehung zu ihren Schüler:innen aufbauen können?
Dafür braucht es Lehrkräfte, die in unserem an sich wunderbaren Beruf zufrieden sind. Die sich wertgeschätzt fühlen, ausreichend Zeit für Kommunikation und auch Entspannung haben. Die stete Überforderung, der sich Lehrende unter anderem durch den Lehrermangel an den Schulen und viele kleine unbezahlte Extraaufgaben ausgesetzt sehen, sind Gift für die physische und psychische Gesundheit. Und damit auch Gift für eine gesunde Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler:innen.

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"Lehrer:innen müssen sich selbst fragen, wo ihr Anteil an schlechten Noten liegt und wie sie zusammen mit den Schüler:innen eine Verbesserung erreichen können", sagt Kerstin Schwitters.

Was muss sich dafür vonseiten der Bildungspolitik ändern?
Zum Beispiel sollte mindestens eine Stunde pro Woche für den kollegialen Austausch und Supervision bezahlt werden. Funktionsstellen wie die Schulleitung müssten geteilt und wie in jedem modernen Unternehmen Team- und Kommunikationsstrukturen gestärkt werden. Viele Strukturen wie die Laufbahnorientierung sind viel zu starr. Und die Ausbildung müsste dual werden, die Studierenden müssten viel früher in die Schulen hinein.

Was tun Sie an Ihrer Schule, damit die Lehrer:innen Zufriedenheit erfahren?
Wir haben neben zusätzlichen Supervisionsmöglichkeiten zum Beispiel einmal im Monat einen Nachmittag eingerichtet, an dem die Lehrenden Zeit haben, in Ruhe miteinander ins Gespräch zu kommen oder gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Am Ende dieses Tages besteht die Möglichkeit zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Es gibt auch einen Entspannungsraum mit Yogamatten, der sowohl von Lehrer:innen als auch von Schüler:innen genutzt werden kann. Außerdem hat an unserer Schule jede Lehrkraft ihren gut ausgestatteten eigenen Arbeitsplatz.

Auch die Gesundheit der Schüler:innen sollte also im Fokus stehen?
Auf jeden Fall, gerade angesichts der Zunahme psychischer und sozialer Auffälligkeiten bei den Schüler:innen. Die Zahl der Angststörungen hat nach meiner Beobachtung seit Corona und auch seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich zugenommen. Wir haben zum Beispiel unseren Stundenplan so rhythmisiert, dass es eine 45-minütige Mittagspause unter anderem mit Angeboten wie Boule, Basteln oder Schach gibt. Eine bewegte Tanzpause wurde gerade von den jüngeren Kindern sehr gut angenommen. Vor zwei Jahren haben wir den Themenschwerpunkt Gesundheit an unserer Schule eingerichtet, der gerade mit einer großen Projektwoche abgeschlossen wurde.

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Noten sind ein nützliches Instrument zur Beurteilung, haben aber nur begrenzte Leistungssteigerungseffekte.

Wie passen Noten in das Konzept der gesunden Schule?
Noten sind ein nützliches Instrument zur Beurteilung. Kinder und Jugendliche wollen wissen, wo sie stehen und müssen im Hinblick auf Ausbildung und Beruf auch mit Beurteilungen und Leistungsanforderungen umgehen lernen. Und auch mit – wohlgemerkt temporären – Erfahrungen des Scheiterns. Doch das muss man sich klarmachen: Noten dienen nur in Einzelfällen zur Leistungssteigerung. Zum Beispiel, wenn ein:e an sich gute:r Schüler:in plötzlich mal eine schlechte Note schreibt. Vermutlich wird sie oder er sich beim nächsten Mal mehr anstrengen. Wer aber konsequent schlechte Noten mit nach Hause nimmt, wird dadurch eher demotiviert. Dann muss ich mich als Lehrkraft auch fragen, wo mein Anteil darin liegt und was ich gemeinsam mit der Schüler:in verbessern kann. Insofern sind intensive regelmäßige Feedback-Gespräche zwischen Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern mindestens ebenso wichtig wie Noten.

Noten reichen also nicht aus, um die Schüler:innen angemessen auf zukünftige gesellschaftliche Aufgaben vorzubereiten?
Genau. Noten sind nur ein Teil des Systems der Leistungserbringung. Auch die Rahmenlehrpläne lassen da mehr Spielraum, als manchmal in den Diskussionen zu hören ist. Ein anderer Teil kann zum Beispiel benotungsfreie Projektarbeit sein. Die achten Klassen an unserer Schule haben kürzlich zum Oberthema „Armut und Reichtum” in kleinen Teams fächerübergreifend eigene Projekte bearbeitet, deren Ergebnisse unter anderem in Form von Präsent

Daniel Wom

Der in Berlin geborene Daniel Wom ist ein versierter Journalist mit einer starken Affinität für Wirtschaftsthemen. Er hat an der Freien Universität Berlin Journalistik und Wirtschaftswissenschaften studiert und arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt in den Medien. Daniel hat für verschiedene große Tageszeitungen und Online-Plattformen geschrieben und ist bekannt für seine tiefgründigen Analysen und klaren Darstellungen komplexer Sachverhalte. Er ist Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband und hat mehrere Auszeichnungen für seine exzellente Berichterstattung erhalten. In seiner Freizeit erkundet Daniel gerne die vielfältige Kulturszene Berlins und ist leidenschaftlicher Webentwickler.

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