Ein mutmaßlicher Terroranschlag in Solingen hat drei Menschenleben gefordert und acht weitere schwer verletzt. Direkt im Anschluss an die Tat entbrannte eine politische Debatte über die mögliche Instrumentalisierung des Ereignisses durch rechte Akteure. Der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent äußerte sich hierzu im öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix und warnte vor einem möglichen Erstarken der AfD.
Quent betonte, dass die AfD nach einer Phase der Schwächung durch das Aufkommen der „demokratischen Protestpartei“ BSW und die sogenannten Potsdam-Enthüllungen auf dem Weg der Erholung sei. „Die Radikalisierungsunternehmer von rechts“ hätten die schreckliche Tat schnell für ihre politischen Ziele genutzt, indem sie versuchten, die Emotionen und Ängste der Bevölkerung zu schüren.
Verunsicherung und politische Agitation
In solchen kritischen Phasen, so Quent, verschwimme oft die Linie zwischen rechtsextremer Instrumentalisierung und der berechtigten Forderung nach politischen Konsequenzen. In der Tat, erklärte er, sei die kollektive Betroffenheit nach solchen Ereignissen verständlich, doch es werde gefährlich, wenn diese Gefühle zu Generalisierungen und überzogenen Reaktionen führten.
Besonders die Verunsicherung der Bevölkerung sei ein Nährboden für rechte Agitation, die zukünftige Wahlergebnisse zugunsten der AfD beeinflussen könne. Hier spiele die emotionale und kollektive Betroffenheit eine große Rolle und begünstige die Aussagen von rechtsradikalen Akteuren, die Migrationspolitik mit derartigen Gewalttaten verknüpfen.
Quent warnte, dass rechte Extremisten die Angst nach islamistischen Terroranschlägen nicht entgegen dem Islamismus, sondern als Verstärkung nutzen. Diese hätte das Ziel, Ängste in der Bevölkerung zu verbreiten und somit als Katalysator für ihre radikalen Ideologien zu wirken.
Notwendigkeit eines rationalen Umgangs
Quent hält es für notwendig, dass von politischer Seite aus ein „rationales, seriöses Zeichen“ gesetzt wird. Der Soziologe betonte, dass die Vergangenheit gezeigt habe, dass kühle Köpfe im Kampf gegen Terrorismus weitaus erfolgreicher seien als emotionale Ausbrüche oder unüberlegte Reaktionen. Eine wirkungsvolle Bekämpfung des Terrors sei nur dann möglich, wenn man nicht in einen „Überbietungswettbewerb“ hinsichtlich fordernder politischer Maßnahmen gegen Islamismus verfalle.
Hierbei bezog er sich auch direkt auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), von dem er sich ein klares Zeichen des Zusammenhalts und der Geschlossenheit, aber auch ein rationales und nüchternes Vorgehen wünsche. Deutschland müsse auf solche Ereignisse besonnen reagieren und nicht durch Panik oder Überreaktionen das politische Klima weiter erhitzen.
Quent, der in der Vergangenheit für die Thüringer Linkspartei-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss gearbeitet hat, ist ein bekannter Experte auf dem Gebiet der Rechtsextremismusforschung. 2016 war er Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, einer außeruniversitären Forschungseinrichtung unter Trägerschaft der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Der lautlose Kampf gegen den Terror
Terrorismus kann niemals mit absoluter Sicherheit verhindert werden, und eben dies sei laut Quent ein entscheidender Punkt. Der Wissenschaftler hob hervor, dass es wichtig sei, in solch schwierigen Zeiten kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Nur so könne man dem Terrorismus effektiv entgegentreten und verhindern, dass er das gesellschaftliche und politische Gefüge weiter destabilisiert.
Die Herausforderung bestehe darin, die Balance zu finden zwischen notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und dem Erhalt der gesellschaftlichen Freiheit. Der Kampf gegen Terrorismus erfordere Geduld, Strategie und eine wohlüberlegte Herangehensweise. Populistische und überzogene Maßnahmen könnten mehr Schaden verursachen, als sie abwenden würden.
In einer Zeit, in der Ängste und Unsicherheiten oft zu unüberlegten Entscheidungen führen, appelliert Quent an die Besonnenheit der deutschen Politik und Gesellschaft. Rationalität und Zusammenhalt seien die Schlüssel, um solche schwierigen Situationen zu überwinden und nicht den Radikalisierungsstrategien extremistischer Gruppen anheimzufallen.
Vergleichbare historische Ereignisse
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es immer wieder Phasen gab, in denen rechtsextreme Parteien und Bewegungen von terroristischen Anschlägen profitierten. Ein markantes Beispiel ist die Zeit nach den Anschlägen am 11. September 2001 in den USA. Damals nahmen Rechtspopulisten und Extremisten die allgemeine Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung als Anlass, um ihre ausländerfeindliche und islamophobe Agenda zu fördern. Ähnlich wie heute in Deutschland wurde auch damals die Polarisierung der Gesellschaft vorangetrieben und das Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen für politische Zwecke instrumentalisiert.
Hintergrundinformationen
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat in den letzten Jahren immer wieder versucht, politische und gesellschaftliche Ereignisse für ihre Zwecke zu nutzen. Nach politischen Krisen oder Gewaltakten, die mit Migranten in Verbindung gebracht werden, steigen häufig die Umfragewerte der AfD. Dies liegt zum Teil daran, dass die Partei Themen wie Sicherheit, Migration und nationale Souveränität in den Vordergrund ihrer politischen Kommunikation stellt.
Der von Matthias Quent erwähnte Begriff der „Radikalisierungsunternehmer“ bezieht sich auf Akteure, die gezielt populistische und extremistische Narrative verbreiten, um Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung zu schüren. Diese Strategien sind nicht neu und wurden bereits in der Weimarer Republik von rechtsextremen Gruppen genutzt, um die Stabilität der Demokratie zu untergraben.
Statistiken und Daten
Aktuelle Umfragen zeigen, dass die AfD in den Wahlabsichten vieler Wähler wieder auf dem Vormarsch ist. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa erreichte die Partei zuletzt 14% der Stimmen, und nähert sich damit ihrem bisherigen Höchststand. Insbesondere in Ostdeutschland liegen die Werte teilweise noch höher.
Ein weiterer relevanter Indikator sind die Zahlen der politisch motivierten Straftaten. Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) nahm die Anzahl rechtsextremistischer Straftaten im Jahr 2022 spürbar zu, was die Besorgnis über eine zunehmende Radikalisierung verstärkt. Auch islamistisch motivierte Anschläge bleiben eine ständige Gefahr, was die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stellt.
Durch solch fundierte und sachliche Analysen kann die politische Debatte versachlicht und der Einfluss von Extremisten auf beiden Seiten eingedämmt werden.
– NAG