Kreuzberg: Wenn die Bushaltestelle das Zuhause für Obdachlose wird
Erfahren Sie mehr über die Obdachlosigkeit in Berlin, die Lebenssituation betroffener Personen und Unterstützungsangebote.

Kreuzberg: Wenn die Bushaltestelle das Zuhause für Obdachlose wird
In den lauten und hektischen Straßen Kreuzbergs, nahe dem Mehringdamm, hat sich für einige Menschen ein ungewöhnlicher Lebensraum etabliert: die Bushaltestelle. Tagsüber ist sie kaum belebt, lediglich ein Nachtbus bedient die Station. Michael, ein stämmiger Mann mit langem Bart und krausem Haar, hat sich dort niedergelassen. Seit fast vier Jahren lebt er bereits auf der Straße und nutzt die Bushaltestelle als sein kleines Refugium. Neben ihm steht ein Einkaufswagen, gefüllt mit Decken, Schuhen, Essensvorräten und leeren Alkoholflaschen. Sein pinkfarbenes T-Shirt und die tätowierte Inschrift „vida loca“ spiegeln diesen speziellen Lebensstil wider, der nicht nur von Entbehrungen, sondern auch von einem gewissen Lebensmut geprägt ist.
Obdachlosigkeit ist ein weit verbreitetes Problem in Berlin, einer Stadt, die laut rbb24 die höchste Anzahl an obdachlosen Menschen unter deutschen Großstädten verzeichnet. Tausende leben auf den Straßen, in Parks und an vielen weiteren Orten. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von Flucht und psychischen Problemen bis hin zu Sucht.
Hotspots der Obdachlosigkeit
Einwohner und Besucher der Stadt treffen häufig auf Obdachlosencamps, insbesondere in Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Während in Kreuzberg der Landwehrkanal und der Ostbahnhof als Hotspots gelten, finden sich in Neukölln Camps am Hermannplatz, Britzer Tor und am Maybachufer. Trotz der großen Not schöpfen die Bezirke oft nur sporadisches Wissen über die Lebensumstände der Obdachlosen aus. Laut dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg fehlt es an Personal, um die Situation genauer zu erfassen und adäquate Hilfsangebote zu machen.
Die letzten Wintermonate waren besonders herausfordernd. Die Berliner Stadtmission verzeichnete eine steigende Aufnahmekapazität und unterstützte im letzten Jahr 3.700 obdachlose Menschen in ihren Schlafeinrichtungen, was im Vergleich zum Vorjahr einem deutlichen Anstieg entspricht, als 2.699 Menschen Hilfe suchten. Dennoch konnten im ersten Quartal 2023 allein 700 Menschen aufgrund fehlender Kapazitäten abgewiesen werden.
Hilfe und Unterstützungsangebote
Die Stadtangebote sind vielfältig. Berlin verfolgt verschiedene Ansätze, um Obdachlosen zu helfen, darunter das Testen von „Little Homes“ – kleinen Holzhütten, in denen obdachlose Menschen bis zu zwei Jahre wohnen können. Außerdem wird das Projekt „Schutz und Neustart für Menschen ohne Obdach“ (Sun) in Berlin-Mitte betrieben, das temporäre Unterkünfte bietet, jedoch nur bis November verfügbar ist.
Trotz bestehender Angebote, die nicht selten genutzt werden, zeigen Berichte, dass viele obdachlose Menschen diese Unterstützung ablehnen. Oftmals sind anliegende Probleme wie zusätzliche Betreuung oder Entzugsmaßnahmen nötig, damit ein Lebensumfeld geschaffen werden kann, in dem ein selbstständiges Leben möglich wird.
Essensausgaben und Notunterkünfte
Hotlines und Anlaufstellen wie die Hilfe-Hotline für obdachlose Menschen (0157 80 59 78 70) oder der Kältebus der Berliner Stadtmission (030/690 33 36 90) bieten Unterstützung an. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Einrichtungen, die ganzjährig oder während der kalten Monate Schlafplätze, Duschen und Beratung bereitstellen.
- Notunterkünfte:
- AWO Kiezcafé, Petersburger Str. 92, Friedrichshain (1.10.–30.4.)
- Kurmärkische Notübernachtung, Kurmärkische Str. 1-3, Schöneberg (1.10.–31.12.)
- Herberge zur Heimat, Falkenseer Chaussee 154, Spandau (1.10.–30.4.)
- Kleidung und medizinische Versorgung:
- Berliner Stadtmission, Lehrter Straße 68, Mitte – Medizinische Ambulanz.
- Caritas Arztmobil an verschiedenen Standorten.
Die Stadt steht vor der Herausforderung, die vielfältigen Bedürfnisse der obdachlosen Menschen zu erkennen und darauf zu reagieren. Ehrenamtliche Unterstützung, Spenden und Engagement sind gefragt, um die Lebensbedingungen für diese Menschen zu verbessern und ihnen eine Perspektive zu bieten. In Berlin bleibt die Auseinandersetzung mit der Obdachlosigkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die weiterhin dringend Beachtung benötigt.