In der Hauptstadt Berlin scheint immer etwas Aufregendes los zu sein. Selbst aus kleinen Vorfällen wie Schlägereien in Freibädern entwickelt sich eine nationale Debatte und aus einer Wildsau wird schnell eine Raubkatze. So erging es auch einer Freundin aus Süddeutschland, die sich über das Berliner Phänomen wunderte und mir einen Artikel über die Gewalt in Berliner Freibädern schickte. Der Titel des Artikels war dabei stark übertrieben und lautete: "Der Sozialstaat wird am Sprungturm verteidigt!" Doch meine Freundin hatte recht – in Berlin wird gerne dick aufgetragen. Hier in Berlin gibt es nicht nur halbstarkes Verhalten und Gewalt in Freibädern. Nein, es gibt "die Freibaddebatte". Genauso wie es zuvor "die Silvesterdebatte" gab. Berlin dient dabei als perfekte Projektionsfläche für den Rest der Republik, weshalb das ganze Land munter mitdiskutiert. Es werden Themen wie toxische Männlichkeit und Integrationsprobleme aufgegriffen und immer wieder die Frage gestellt, warum solche Probleme nicht auch in anderen Städten wie Hamburg auftreten. Wie üblich folgen daraufhin die gleichen Reaktionsmuster: Politiker machen schlecht durchdachte Vorschläge zur "Law and Order". Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte beispielsweise eine sofortige Aburteilung der Täter, sogar am Wochenende. Der Deutsche Richterbund konterte daraufhin mit dem Hinweis, dass dies aufgrund fehlenden Personals und der Knappheit an Richtern kaum möglich sei. SPD und Grüne warfen Linnemann überraschenderweise Populismus vor. Mich persönlich macht das ganze Trara müde. Die Diskussionen über Berlins angeblich "massive" Integrationsprobleme, die autoritären Vorschläge aus allen politischen Richtungen wie beispielsweise das Aussperren aller männlichen Personen über 13 Jahren aus den Freibädern oder die Vorstellung, dass genügend Sozialarbeiter am Beckenrand sämtliche Probleme lösen könnten. Die Zahlen zur Debatte sind zudem erschreckend niedrig: Im Jahr 2019 gab es in den rund zwei Dutzend Berliner Freibädern 71 registrierte Gewaltdelikte, im Jahr 2022 waren es 57. Ein Rückgang also – Zzz. Entschuldigung, ich bin gerade kurz eingenickt. Aufgrund einer ärztlichen Empfehlung habe ich zur Entspannung einen kleinen Mittagsschlaf gemacht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund empfiehlt dies sogar während der Arbeitszeit. Eine lockere Kleiderordnung und ein kühles Getränk gehören dazu – so lässt es sich aushalten. Da kommt Freibadfeeling auf, während man arbeitet. Einfach herrlich! Mit den Füßen in einer Wasserschüssel, einer Wassermelone in Reichweite und einer großzügig verlängerten Mittagspause ... Natürlich gibt es auch Gegenstimmen zu so viel Entspannung. Der Verband der Familienunternehmer ist gegen dieses Schlendrian. Schließlich sind wir nicht in Mexiko, sondern im Land der Produktivitätsimperative: Vorsprung durch Technik! Freude am Fahren! Auf diese Steine können Sie bauen! Die Vorsitzende des Familienunternehmerverbands, Marie-Christine Ostermann, hat den wuchernden Siesta-Fantasien humorlos einen Riegel vorgeschoben. Ihrer Meinung nach sollten wir im Sommer einfach früher mit der Arbeit beginnen: "Der frühe Vogel fängt den kühlsten Wurm", riet die Westfälin, die im Lebensmittelgroßhandel tätig ist, auf Spiegel Online. Für zusätzliche Abkühlung sorgte neben der Einführung der Ausweispflicht in Berliner Freibädern ein Temperaturrückgang. Zusätzlich sorgte die Sichtung einer angeblichen Löwin, die frei in Berlin herumlaufen soll, für Aufregung. Sofort wurden die Freibaddebatte und die Nickerchen-Debatte von der Löwen-Debatte abgelöst. Es wurde diskutiert, ob die Löwin wirklich solche Ohren hat und ob man noch sicher mit dem Dackel Gassi gehen kann. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass in der Nähe der gesichteten Raubkatze ein bundesweit bekannter Clan lebt, der auf einer Hochzeit schon einmal ein Tigerbaby präsentiert hat. In unserer Nachbarschaft habe ich bisher zum Glück nur die Sichtung eines Fuchses gemeldet. Dieser stand mitten im Garten und hatte den Schwanz einer frisch getöteten Ratte im Maul. Deshalb schrieb ich meiner Freundin aus dem Süden: "Siehst du, wir haben es schon wieder getan: Bei uns in Berlin hat das Sommerloch sogar Zähne!"
NAG Redaktion
Versierte Journalisten mit einer starken Affinität für Wirtschaftsthemen. Arbeiteten seit mehr als einem Jahrzehnt in den Medien. Haben für verschiedene große Tageszeitungen und Online-Plattformen geschrieben und sind bekannt für tiefgründige Analysen und klare Darstellungen komplexer Sachverhalte.
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