Die „Israelitische Taubstummenanstalt“ in Berlin-Weißensee wird im kommenden Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiern. Anlässlich dieses Jubiläums lädt die Antisemitismus- und Antidiskriminierungsbeauftragte des Bezirksamts Pankow, Monika Flores Martínez, in Zusammenarbeit mit der Stolpersteingruppe Weißensee und der Landeszentrale für politische Bildung alle Interessierten zu einer Veranstaltung in das Kino Toni am Antonplatz in Berlin ein. Der Eintritt ist frei.
Die „Israelitische Taubstummenanstalt“ befand sich bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1942 in der Weißenseer Parkstraße 22. Hier erhielten taube jüdische Kinder eine umfassende Ausbildung, die Lesen, Schreiben, Rechnen und Hebräisch umfasste. Sie erhielten außerdem Religionsunterricht und feierten Gottesdienste in Laut- und Gebärdensprache. Die Einrichtung wurde im Jahr 1873 von dem jüdischen Pädagogen Markus Reich gegründet. Damals bestand in Deutschland noch keine Schulpflicht für taube Kinder. Aufgrund des großen Zulaufs gründete Reich den Verein „Jedide Ilmim“ und sammelte Spenden, um ein Schulgebäude zu errichten. Im Jahr 1890 zog die Familie Reich mit zehn Schülerinnen und Schülern in das dreistöckige Gebäude in Weißensee ein. Bekanntheit erlangte die Einrichtung auch durch den im Jahr 1932 gedrehten UFA-Film „Verkannte Menschen“, der für die Akzeptanz tauber Menschen warb und ihre Bildungs- und Berufschancen thematisierte. Der Film wurde 1934 von der nationalsozialistischen Zensur verboten und galt lange Zeit als verschollen.
Im Rahmen der Veranstaltung am 6. Juli 2023 wird der Film „Verkannte Menschen“ erstmals mit einer Audiodeskription für Menschen mit Sehbehinderung gezeigt. Zudem wird es einen Vortrag zur Geschichte der „Israelitischen Taubstummenanstalt“ geben und eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Schule, Museum, Politik und Aktivismus. Die Podiumsdiskussion wird in Deutscher Gebärdensprache mit Dolmetschung in Lautsprache moderiert. Zu den Diskutierenden gehören unter anderem Debora Antmann vom Jüdischen Museum Berlin und Dr. David Marquard von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch Dr. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, wird ein Grußwort sprechen. Die Veranstaltung wird von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.
Die Veranstaltung findet im Kino Toni am Antonplatz in Berlin-Weißensee statt. Der Eintritt ist frei und eine Anmeldung erwünscht, aber nicht notwendig. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Interessierte auf der Website der Landeszentrale für politische Bildung.
Zusätzlich zur Jubiläumsveranstaltung gibt es weitere Aktivitäten rund um die „Israelitische Taubstummenanstalt“. Die Pankower Bibliotheken kuratieren Thementische mit Büchern, DVDs und anderen Medien zum Judentum, zur Gehörlosenkultur und zur Gebärdensprache. Interessierte haben außerdem die Möglichkeit, das Gebäude der ehemaligen Anstalt zu besichtigen. Heute befindet sich dort die evangelische Stephanus-Grundschule, die am 6. Juli ihre Türen für alle Interessierten öffnet. Zudem bietet die Volkshochschule Pankow am 9. Juli eine kostenfreie Führung in Deutscher Gebärdensprache an, die sich mit der Geschichte der „Israelitischen Taubstummenanstalt“ befasst. Die Führung startet am Eingang zum Jüdischen Friedhof Weißensee.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass das Wort „Taub“ inklusive des Großschreibens verwendet wird, da es sich um eine Selbstbezeichnung nicht hörender Menschen handelt. Der Begriff „Taubstumm“ wird heute als veraltet und diskriminierend betrachtet, da taube Menschen eine eigene ausdrucksstarke Sprache benutzen und nicht als stumm wahrgenommen werden möchten.